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Melting Ice – Erinnerung an eine schwindende Welt

Von Markus Gmeiner

Es beginnt schleichend. Erst sind es Details, die irritieren. Sommer, in denen es in den Bergen schneit – einst eine Laune der Natur, heute eine Schlagzeile. Gletscher, die schmelzen – das taten sie immer, aber nun verschwinden sie. Das Packeis bricht auf, Permafrostböden tauen, und mit ihnen versinkt eine Welt, die für Jahrtausende stabil schien. Wissenschaftler warnen. Die Frage ist nicht mehr, ob es passiert, sondern nur noch, wie schnell.

Ich bin Fotograf. Ich alleine kann den Klimawandel nicht aufhalten, aber ich kann ihn dokumentieren. Ich kann das bewahren, was vielleicht bald nicht mehr existiert. Denn wenn die Zeit kommt, in der meine Kinder fragen: „Wie sah das ewige Eis aus?“, dann will ich eine Antwort haben.

Expedition in die Vergänglichkeit

 

Island, Grönland, Spitzbergen – Orte, an denen sich die Erderwärmung nicht in Statistiken, sondern in schwindenden Landschaften messen lässt. Ich reiste bewusst im tiefsten Winter, als das Eis noch da war. -35 Grad, eine Kälte, die nicht nur die Haut, sondern auch Gedanken gefrieren lässt. Die Stürme schienen lebendig, rissen an der Kleidung, rüttelten an der Überzeugung, dass der Mensch hier etwas zu suchen hat.

In Grönland begleiteten mich die berühmten Discodogs – Schlittenhunde, gezüchtet für das Leben auf Eis. Mein Inuit-Guide führte mich an Küsten, die vor wenigen Jahrzehnten noch von einer dicken Schicht aus gefrorenem Wasser bedeckt waren. Heute schaukeln dort Fischerboote, wo früher nur Schlitten fahren konnten. „Früher war das Eis eine Straße“, sagte er. „Jetzt ist es eine Erinnerung.“

 

Die Stille des Schmelzens

Wer glaubt, der Untergang der Gletscher sei ein Spektakel aus donnernden Eisabbrüchen und dramatischen Rissen, täuscht sich. Es ist ein leiser Tod. Das Eis weicht langsam zurück, Zentimeter um Zentimeter, bis es ganz verschwindet. Ich stand vor einem Gletscher in Island, ließ den Blick über die zerklüftete Fläche schweifen. Touristen bewunderten die Landschaft, nannten sie majestätisch. Ich sah nur einen Rückzug, ein Ende, das sich still vollzieht.

Spitzbergen forderte mich heraus. Mit einem Guide ging es auf Schneemobilen durch die eisige Leere, die Waffen stets griffbereit – nicht gegen die Kälte, sondern gegen Eisbären. Eine Nacht lang hatte ich Wache. Ich kroch aus dem Schlafsack, die Kälte schlug mir ins Gesicht wie ein Fausthieb. Draußen absolute Dunkelheit. Jedes Geräusch schien eine Bedrohung. Die Leuchtschusspistole in meiner Hand – ein schwacher Trost. Mein Plan? Zittern und hoffen, dass der Bär mehr Respekt vor mir hatte als ich vor ihm. Er kam nicht. Vielleicht hatte auch er erkannt, dass es für ihn hier nichts mehr gab.

Ein Himmel aus Feuer

Und dann, eine unerwartete Belohnung: Polarlichter in Grönland. Der Himmel explodierte in Farben, ein Schauspiel aus Grün und Violett, das über den gefrorenen Fjorden tanzte. Ich kämpfte mich ins Eis, stellte die Kamera auf, während die Kälte mich langsam lähmte. Der Kamera ging es nicht besser – ihre Mechanik ächzte unter den Temperaturen. Noch Monate später spürte ich meine Zehen nicht richtig. Aber der Anblick war es wert.

Was bleibt

Die Arktis erwärmt sich doppelt so schnell wie der Rest der Erde. Gletscher, die Jahrtausende überstanden haben, werden nicht überleben. Ich kann die Zeit nicht zurückdrehen, aber ich kann sie festhalten. Ich kann Bilder zeigen, die vielleicht Menschen zum Nachdenken bringen. Jeder kann etwas tun – ob durch Worte, Taten oder Bilder.

Vielleicht werden meine Kinder eines Tages die Aufnahmen betrachten und fragen: „War das wirklich einmal so?“ Und ich werde sagen: „Ja. Und ich wollte, dass ihr es nicht vergesst.“

 

Selfportrait
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