
Wie Skateboarding, Snowboarding
und Punk meine Welt formten
Von Markus Gmeiner
Manchmal spüre ich es noch – dieses Vibrieren in den Beinen, das Dröhnen des Asphalts unter den Rollen, die kalte Luft, die nach Schnee riecht. Die Geräusche meiner Jugend mitte der neunziger Jahre: das harte Klicken eines Ollies auf rauem Beton, das metallene Kratzen eines Boards auf der Curb, das Kreischen verzerrter Gitarren aus einem übersteuerten Verstärker. Das Pfeiffen und Rauschen in den Ohren während und nach einem Konzert, welches ich heute noch hab. Wir waren nicht Teil eines Trends, keine Mitläufer in einer inszenierten Subkultur. Wir lebten Skateboarding und Punkrock, nicht weil es cool war, sondern weil es das Einzige war, das sich echt anfühlte.

Die Stadt als Spielfeld, der Asphalt als Gegner
Vorarlberg war nicht gemacht für Skater, aber genau das machte es reizvoll. Wo kein Platz für uns war, nahmen wir ihn uns. Jeder Bordstein, jede Treppe, jede Laderampe wurde zu einer Herausforderung. Sogar eine verlassene Fabrik war unser Treffpunkt, selbst gebaute Rampen aus Holz unser Spass. Unser Blick auf die Stadt war ein anderer – wir sahen nicht Häuser und Gehwege, sondern Lines, Transitions, Gaps.
Wenn das Wetter kippte, wenn Regen den Asphalt in eine Rutschbahn verwandelte, zogen wir uns in Tiefgaragen zurück. Neonröhren warfen kaltes Licht auf den Beton, unsere Schatten zuckten in der Bewegung. Das Echo der Boards hallte in den Hallen wider, jeder Trick wurde von einem dumpfen Schlag des Holzes begleitet. Es gab keine Zuschauer, kein Publikum – nur uns, den Rhythmus des Skatens und die ständige Wiederholung des Versuchens und Scheiterns.



Kareem Campbell, US Skateboardprofi in Ravensburg 1996
Vom Beton in den Schnee
Wir verlegten im Winter das Skateboarding in die Berge und tauschten die Skateboards zu Snowboards, noch bevor Snowparks zu Marketing-Konzepten wurden. Wir schaufelten unsere eigenen Rampen aus Schnee, bauten Kicker an Hängen, wo sonst niemand fuhr. Was heute selbstverständlich ist, war damals eine Revolte – ein Protest.
Erst später, als die Parks zu voll wurden, als Lifte zu Wartezeiten führten und das Gefühl von Freiheit in eine Warteschlange gepresst wurde, zogen wir weiter. Wir suchten das Unberührte. Raus aus den markierten Pisten, hinein in die Wildnis. Hänge, die kein anderer kannte, Lines, die niemand vor uns gezogen hatte. Freeriden war kein Trend, sondern eine Konsequenz. Skateboarding hatte uns gelehrt, dass das Beste oft dort liegt, wo niemand es vermutet. Also fuhren wir hinaus, stapften durch kniehohen Schnee, immer weiter nach oben, bis nur noch der Horizont vor uns lag.
Punk als Herzschlag
Nachts war es die Musik, die uns zusammenhielt. Ich spielte in einer Band, wir gaben Konzerte in Vorarlberg, Italien, Wien, Berlin. Es gab keine Show, kein Kalkül – nur den Moment, die pure Gegenwart. Wir spielten in stickigen Kellern, in überfüllten Jugendzentren, in Clubs, in denen der Boden vom verschütteten Bier klebte und wenn man Glück hatte verletzte man sich nicht an den Glasscherben die überall auf der Tanzfläche zerstreut waren. Der Geruch von Zigaretten, Schweiß und Alkohol hing in der Luft und in unseren Klamotten, die am nächsten Tag genauso rochen wie der Club, aus dem wir kamen.
Punkrock war nicht nur ein Sound, sondern eine Haltung. Es ging nicht darum, gut zu spielen, sondern laut. Nicht darum, Erwartungen zu erfüllen, sondern sie zu brechen. Wenn der erste Akkord erklang, gab es keine Vergangenheit und keine Zukunft – nur den Moment, das Chaos, die rohe Energie, die durch unsere Körper jagte.
Die Fotografie als Anker
Ich hielt all das fest. Nicht als Außenstehender, nicht als Dokumentarist, sondern als jemand, der mittendrin war. Meine Kamera war immer dabei, aber sie war nie das Zentrum. Sie war nur ein Werkzeug, um das einzufangen, was wir lebten: die Schwere in den Beinen nach einem langen Tag auf dem Board, die fliegenden Schneekristalle im Sonnenlicht, den Moment kurz vor einem Sprung, wenn die Zeit für einen Sekundenbruchteil stillzustehen scheint.
Heute, wenn ich die alten Negative ansehe, spüre ich es wieder – den Rausch, die Wut, die Euphorie. Die Entschlossenheit, etwas Eigenes zu schaffen, abseits der Regeln.
Wir waren keine Zuschauer unseres eigenen Lebens. Wir waren Gestalter, Rebellen, immer auf der Suche nach dem nächsten Moment. Und vielleicht ist genau das der Grund, warum ich nie wirklich aufgehört habe – zu skaten, zu fahren, zu fotografieren. Weil das, was zählt, immer noch da draußen ist. Man muss nur wissen, wo man suchen muss.
